Künstliche Intelligenz ist in unseren Unternehmensalltag eingezogen. Clever eingesetzt, unterstützt uns die Hochleistungstechnologie bei der komplexen Datenauswertung, der Prozessoptimierung und der Problemlösung. Doch kann KI den Menschen im Denken und im erfolgreichen Kundenbeziehungsmanagement ersetzen? Sind wir bald überflüssig?
Wir sprechen im Interview mit Dr. Henning Beck, Neurowissenschaftler und Autor, über Künstliche Intelligent und ihre Grenzen wie Unterschiede im Vergleich zum menschlichen Denken und darüber, dass KI den Faktor Mensch für erfolgreiche Beziehungen nicht ablöst.
Gehirn und KI im Vergleich – wie sind die jeweiligen Funktionsweisen?
Der Mensch denkt vom Ende her. KI macht das Gegenteil. In unserem Denken durchlaufen wir die Schritte des Inputs, der Verarbeitung und des Outputs nicht chronologisch, wie KI das tut. Nein, wir agieren mit der Umwelt und gestalten den Output bereits im Verarbeitungsprozess. Denn bevor wir Sachen verstehen, haben wir bereits ein Ziel und einen Willen Etwas zu tun. Ein einfaches Beispiel ist die Spracherzeugung. Aktuelle Chatbots wie ChatGPT bilden einen Satz, indem sie Schritt für Schritt das statistisch plausibelste Wort berechnen, das auf ein gegebenes Wort folgen soll. Menschen machen das aber gerade nicht. Bevor wir anfangen zu sprechen, haben wir die Idee und das Ende des Satzes schon vor dem geistigen Auge. Sprache ist quasi der Retrofit für einen Gedanken, den wir längst gefasst haben. Der umgekehrte Fall, dass eine Absicht entsteht, nur weil Informationen statistisch optimiert verarbeitet werden, ist wissenschaftlich nicht belegbar, sondern bloßer Glaube, eine Technik-Religion. Daher ist die Annahme, dass die aktuelle KI-Technologie irgendwann selbstständig agiert, abwegig.
Hinzu kommt: Der Mensch versteht Zusammenhänge und wie Dinge funktionieren, warum und wofür etwas ist und wozu man Sachen einsetzen kann. Beispiel: Wir verstehen, dass die Erde warm wird, weil die Sonne auf sie scheint, indem wir mental simulieren, die Sonne zu sein, die die Erde erwärmt. Wir bauen uns permanent solche kausalen Weltmodelle auf und können dadurch Ursache und Wirkung erkennen. Eine statistische Analyse reicht nicht, um Ursachen zu verstehen. Es wird schließlich nicht jedes Jahr Winter, weil die Zugvögel in den Süden fliegen.
KI hingegen ist letztendlich immer ein Optimierungsverfahren: Sie passt sich an einen Datensatz an, findet effiziente Wege, um einen Output zu erzeugen. Genau so ist Intelligenz definiert: Probleme, gleich welcher Art, immer effizienter, schneller und bei geringem Energieeinsatz zu lösen. KI macht das im Vergleich zum Menschen unschlagbar gut. Menschen sind hingegen nicht daran interessiert, sich an Datensätze anzupassen. Um unsere Zielsetzung zu erreichen, hinterfragen wir Dinge, brechen Regeln und machen Fehler – und das ist gut so. Menschliches Denken ist nämlich weit mehr als intelligent: Es ist die Quelle unserer Kreativität, unserer Empathie, unserer Neugier und Innovationen.
Wo liegen die Stärken und Schwächen von KI und dem menschlichen Denken?
Die große Schwäche des menschlichen Denkens ist, dass wir alles in unserer Umgebung personifizieren und auf Nützlichkeit prüfen. Uns fehlt der objektive Zugang zur Welt, denn durch unsere Brille verzerren und verfälschen wir. Dabei ist es egal, wie objektiv die Datenlage ist. Uns geht es immer um einen persönlichen Vorteil.
Wenn die Aufgabe jedoch darin besteht, viele Daten objektiv, fehlerfrei auszuwerten und zu optimieren, ist uns Künstliche Intelligenz stark überlegen. In Bereichen, in denen es jedoch keine messbaren Zahlen oder keine große, stabile Datenbasis gibt, sind wir der Künstlichen Intelligenz weit voraus. Darunter fallen nicht quantifizierbare Dinge, wie Ideen, Wissen, Glück, Zuversicht, Hoffnung, Sicherheit und Freiheit. Interessanterweise leben wir gerade in einem Zeitalter der numerischen Zwangsquantifizierung, in dem auch der letzte Rest des menschlichen Lebens mess- und damit monetarisierbar gemacht werden soll. Vom Toiletten-Gang bis zum digitalen Geschäftsmodell – alles wird bewertet. Likes, Klicks, Shares: Wir versuchen menschliches Verhalten in Kennzahlen und Größen zu überführen, um diese für unseren Erfolg auszuwerten, zu optimieren und damit Geld zu verdienen. Doch die wirklich wichtigen Dinge in unserem Leben sind nie im Internet gelandet, nicht aufgeschrieben oder ausgesprochen worden. Eine Welt ohne Daten, die KI niemals gesehen hat. Eine Welt, die der Digitalisierung verschlossen bleibt. Schlussendlich ist die Stärke von KI die Analyse und Verarbeitung messbarer Zahlen und großen Datenmengen. Ihre Schwäche liegt ganz klar darin, dass sie ohne Daten nutzlos ist. Menschliches Denken ist hingegen dann stark, wenn es keine objektiven Kennzahlen zu messen gibt: bei Ideen, Innovationen, Vertrauen oder Zufriedenheit. Bei der fehlerfreien Verarbeitung von Datenmengen scheitern wir.
Mit Fehler assoziieren wir Negatives, doch warum sind diese nützlich?
Menschen lernen am schnellsten, wenn sie Fehler machen dürfen und diese selbst erkennen. Dabei ist es wichtig, zu hinterfragen, wann ich einen Fehler machen kann und was ich daraus lerne. Wenn man von Anfang an jeden Fehler vermeiden und alle Regeln stets optimieren will, dann wird man die Welt nie verstehen oder sich (weiter)entwickeln können. Nur wenn wir Regeln brechen, Grenzen überschreiten und neues Terrain betreten, können wir kreativ sein, Innovationen gestalten und den Fortschritt vorantreiben. Eine perfekte Welt ist langweilig und das Ende allen Fortschritts: Wohin soll man sich noch hin entwickeln wenn bereits alles optimiert ist? Die Freiheit, Fehler machen zu können, sorgt für Anpassungsfähigkeit gegenüber neuen Herausforderungen.
Wie sieht eine gehirngerechte Arbeitswelt aus?
Das menschliche Gehirn ist kein Computer, den ich mit mir rumschleppe und nach Bedarf an- und ausschalte. Je nach Umfeld denken wir unterschiedlich gut. Neben dem Freiraum für Fehler ist ein Dreiklang aus Konzentration, Austauschmöglichkeiten und Ruhephasen für eine gehirngerechte Arbeitswelt relevant. Der Mensch braucht einen motivierenden Arbeitsplatz, wo er fokussiert und ungestört arbeiten, sich anschließend mit anderen Personen im Unternehmen austauschen und schließlich seine Energiereserven aufladen kann. Motivation entsteht, wenn wir am Ende sehen, was wir geleistet haben. Denn die größte Bestätigung für uns Menschen ist die Wertschätzung unserer Arbeit und das positive Ergebnis unseres Tuns.
Die leistungsfähigsten Unternehmen sind auf Effektivität optimiert, warum?
In unserer heutigen Welt streben wir nach Effizienz, denn damit lässt sich sehr viel Geld verdienen: immer schneller und kostengünstiger maximiert den Gewinn. Wenn wir jedoch nur die Effizienz im Blick haben, verlieren wir unsere Anpassungsfähigkeit. Aber je effizienter die Systeme sind, desto stressanfälliger werden sie irgendwann. Die Bahn zum Beispiel kommt häufig zu spät, weil der Fahrplan hoch effizient ist. Das Klopapier geht aus, weil die ganzen Lieferketten auf Effizienz optimiert sind. Sobald ein Stressfaktor auftaucht, ist das System überlastet. Um nachhaltig erfolgreich zu sein, muss eine Balance zwischen Effizienz und Effektivität herrschen. Deshalb sind die leistungsfähigsten Unternehmen auf Effektivität optimiert. Sie sind nicht nur auf die Verbesserung eines Produkts oder einer Idee fokussiert, sondern probieren Neues aus und können neuen Herausforderungen anpassungsfähig begegnen. Ebendeshalb sollten beispielsweise der Start und das Ende eines Projekts immer effektiv (auf das Ergebnis ausgerichtet) sein, der Weg dazwischen effizient (auf den Prozess ausgerichtet).
Wie wirkt sich KI auf das Beziehungsmanagement und die Customer Experience aus?
Zukünftig werden uns KI-Tools noch stärker bei der Auswahl von Produkten und Lösungen sowie der Recherche unterstützen. Doch bevor Unternehmen einzelne KI-Tools einführen, sollten sie sich im Klaren darüber sein, was sie erreichen wollen – in den meisten Fällen guten Service. Gerade in diesem Bereich ist die Technik heutzutage durch Chatbots und Assistenztools deutlich besser geworden. Nichtsdestotrotz wird der persönliche Kontakt weiterhin eine wichtige Rolle spielen, denn der Menschen interagiert immer noch am liebsten mit dem Menschen. Gerade bei Problemen, die KI nicht lösen kann – und wir wissen, da gibt es viele – bleibt der Mensch für die Customer Experience unabdingbar. Diese Customer Experience ist im Übrigen sehr persönlichkeitsgetrieben. Die Zeiten von wertvollen Produktmarken sind praktisch vorbei. Christiano Ronaldo hat beispielsweise doppelt so viele Instagram-Follower wie alle Premier League Vereine zusammen. Menschen identifizieren sich viel stärker mit anderen Menschen als mit Dingen – in Zeiten der Onlinemedien mehr als je zuvor. Um heute und zukünftig zu begeistern, braucht es also unbedingt die Komponente Mensch.
Haben Sie einen abschließenden Tipp für unsere Leserinnen und Leser?
Für uns alle schlägt die Stunde Null was den Einsatz generativer Künstlicher Intelligenz betrifft. Niemand weiß heute schon, welches Geschäftsmodell in 10 Jahren erfolgreich sein wird. Es bleibt uns nur eins: ausprobieren, Fehler machen, daraus lernen und weiter probieren. Machen statt perfekt machen – nutzen Sie KI-Tools ganz unvoreingenommen in Projekten, sammeln Sie Erfahrungen und schauen Sie, bei welchen Abläufen und Prozessen Sie Künstliche Intelligenz unterstützen kann. Lassen Sie sich nicht von jedem KI-Trend beeinflussen, sondern identifizieren Sie das KI-Potenzial, das Ihnen wirklich hilft und Sie weiterbringt. Seien Sie mutig, machen Sie Fehler.
Zum Autor: Dr. Henning Beck
Der Neurowissenschaftler und Autor erklärt, wie man die Prinzipien des Gehirns für innovatives Denken nutzen kann. Dr. Henning Beck studierte Biochemie in Tübingen und promovierte 2012 an der dortigen Graduiertenschule für Neurowissenschaften. Anschließend arbeitete er an der University of California in Berkeley und entwickelte für Unternehmen in der San Francisco Bay Area moderne Innovationsstrategien.
Dr. Henning Beck publiziert regelmäßig für die WirtschaftsWoche, als Videokolumnist für web.de und ist wöchentlicher Gast beim Deutschlandfunk. In seinen populären Büchern schafft er einen verständlichen Zugang zur Welt der Hirnforschung, seine Vorträge machten ihn zum Deutschen Meister im Science Slam 2012. Er ist international gefragter Redner zu Themen wie „Neurobiologie und Kreativität“ und unterstützt Firmen, innovative Lern- und Arbeitswelten nach Vorbild des Gehirns zu schaffen.
Dr. Henning Beck sprach auch bei unserem diesjährigen Customer Centricity Forum in seinem Impulsvortrag „Gehirn vs. Künstliche Intelligenz - Warum KI für erfolgreiche Beziehungen nicht ausreicht“ über die Einzigartigkeit der menschlichen Kreativität: zum Rückblick.
Buchtipp: 12 Gesetze der Dummheit
Wir können mehr, als wir glauben, wenn wir verstehen, wie wir denken.
Unsere Welt befindet sich in einem großen Umbruchprozess. Wir müssen die Energiewende schaffen, den Klimawandel aufhalten, unsere Wirtschaft und Verwaltung digitalisieren – und gleichzeitig unsere Demokratie gegen Fake News und digitale Meinungsmanipulation verteidigen. An guten Ideen und konkreten Vorschlägen, was zu tun ist, mangelt es nicht. Auch nicht an Vorstellungen, wie eine lebenswerte Zukunft aussehen sollte. Dennoch kommen wir nicht in die Gänge. Woran liegt das? Genau hier setzt der Neurowissenschaftler Henning Beck an: Er beschreibt zwölf kognitive Denkphänomene, die uns falsch handeln lassen oder gar ausbremsen. Und er erklärt, wie aus Pessimismus eine gestaltende Kraft wird. Warum wir niemals die richtige Entscheidung treffen, aber trotzdem dadurch besser werden. Wie wir es schaffen die Zukunft zu gestalten, bevor sie begonnen hat. Wir sollten den Mut haben, die Welt zu verändern.
Nicht weil die Krisen kleiner sind, als wir glauben, sondern weil unsere Fähigkeit Probleme zu lösen, größer ist, als wir ahnen.
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